Deutsche Event-Organisatoren: Hört endlich auf, Frauen zu verleugnen!

Besucht man in Deutschland ein Startup-Event, findet man häufig ein recht diverses Publikum - auf der Bühne aber größtenteils Männer. Was in anderen westlichen Ländern einen Shitstorm auslösen würde, wird hierzulande mit dem Totschlag-Argument “Es gibt ja so wenige!” bei Seite gewischt. Und bei allen Diskussionen um Gendern und Quoten scheinen wir überhaupt nicht zu merken, wo und vor allem wie stark in unserem Land wirklich diskriminiert wird.

Dienstag,
15.11.2022

Köln, 2022: eine studentische Organisation bewirbt ihre Startup-Konferenz.
Im Speaker-Lineup: fast ausschließlich Männer. Nach einem Hinweis nur die Antwort: „Wir haben keine Frauen gefunden.“ Nur etwas später im Jahr ebenfalls in Köln: ein Panel mit einem Investor, zwei Gründern, einem Moderator. Und nein, man braucht hier nicht zu gendern, denn es sind tatsächlich alles Männer. Ein komplett männlich besetztes Panel auf einem Startup-Event. In Spanien hätte man nun schon die “Machismo”-Rufe gehört. Doch in dem gut besetzten Saal wird der Umstand, dass Frauen wieder einmal die Bühne vorenthalten wird, kaum wahrgenommen. Nur ein paar wenige Stimmen erheben sich, die Reaktion wie so oft: Achselzucken. Ja, ist nun eben so, ist ja nicht so schlimm.

94% des Venture Capitals in Deutschland gehen an rein männliche Gründerteams, nur 1% an rein weibliche. “Es gibt ja so wenig Vorbilder für Frauen”. Komisch, ich alleine kann aus dem Stand schon eine recht ordentliche Liste aufsagen. Da entsteht doch eher der Eindruck, dass es sehr wohl Vorbilder geben könnte, wenn man sie denn einmal auf eine Bühne stellen würde. Denn auch noch so tolle Gründerinnen, die niemand kennt, können auch keine Vorbilder sein.

Szenenwechsel: November 2022, Kapstadt. Eine Konferenz für Digitale Nomaden, also Leute, die remote arbeiten. Fast alle hier sind UnternehmerInnen oder Freelancer, einen großen Teil des Programms nehmen Vorträge zu Business Themen wie effiziente Kundengewinnung oder Business-Strategien ein. Auf der Bühne: ungefähr 50% Frauen, viele davon Deutsche, viele davon Leben auch einen großen Teil des Jahres in Deutschland. Auf deutschen Bühnen sieht man sie aber nur selten. Sehr selten.

Das gleiche Bild konnte man auch früher im Jahr auf anderen, ähnlichen Konferenzen finden: in Kroatien, in Bulgarien oder in Albanien. Manchmal sind es sogar mehr Frauen als Männer am Mikrofon.

Wie kommt das, gibt es hier eine Quote, werden Frauen etwa stark bevorzugt bei der Auswahl der Vortragenden? Weit gefehlt. Die Organisatoren machen genau das, was die deutschen Quotengegner immer so vehement fordern: Qualität vor Geschlecht. Auf einer Konferenz bestimmt sogar das Publikum, wer Teil des Programms wird. Natürlich könnte man jetzt noch behaupten, dass viel für Frauen gestimmt wird, weil sie besser aussehen. Kann man aber auch lassen, wenn man sich nicht noch lächerlicher machen will, als man es ohnehin schon ständig tut. Eben mit der Behauptung, es gäbe kaum Frauen, die auf die Bühne wollten. Die thematisch passen. Deren Vorträge dem Publikum Mehrwert bringen.

Denn es gibt mittlerweile zahlreiche Datenbanken und Plattformen, auf denen EventorganisatorInnen mehr als genug weibliche Redner finden, mit allen möglichen Themen, von Technik bis Lifestyle. Ins Leben gerufen meist von Frauen, die es einfach nicht mehr hören konnten, das Märchen von den fehlenden Frauen. Und weiterhin ignoriert werden, wenn nicht sogar belächelt.

Nun ist es also so einfach: Seite aufrufen oder googeln, Thema eingeben, Speakerin aussuchen. Aber das scheint viele zu überfordern. Kommentare zum fehlenden Frauenanteil ignorieren ist dagegen herrlich einfach. Wenn man sich zu sehr konfrontiert fühlt, eben was von “Wir haben es versucht, wir haben keine gefunden” erzählen, dann ist die Diskussion auch oft schon wieder vorbei. Glaubt ja jeder, weil es oft genug wiederholt wird. Auch wenn es noch so ein Blödsinn ist.

Und weil wir in Deutschland nicht über das diskutieren wollen, was wirklich weh tut. Wir halten uns lieber an anderen Fragen auf. Etwa daran, ob wir lieber GründerInnen oder Gründer:innen oder Gründer*innen oder einfach nur Gründer schreiben und alle meinen. Was aber niemand zu merken scheint: wir können uns daran tot diskutieren, was da jetzt richtig ist, es wird aber trotzdem keine einzige Frau mehr auf die Bühne bringen. Denn dafür müssten wir einmal wagen auszusprechen: “Da sind nur Männer auf der Bühne, das ist weder zeitgemäß, noch nötig, noch in Ordnung und spiegelt unsere Gründungslandschaft nicht ansatzweise wieder!” Dafür müssten wir riskieren, den Organisatoren ordentlich auf die Füße zu treten. Uns trauen, zu sagen, dass wir solche Events nicht mehr besuchen wollen. Zu riskieren, einen Partner, Kunden oder guten Kontakt zu verlieren. Nein, das überlassen wir dann doch lieber anderen. So weit muss man dann doch nicht gehen, denn was habe ich davon? Nichts, außer, vielleicht das Richtige getan zu haben. Das ist uns normalerweise zu wenig. Zivilcourage war noch nie so wirklich unser Ding.

Wie wir es also drehen und wenden: Die Frauenquote auf deutschen Startup-Events (und vielen anderen) ist unterirdisch. Sogar bei einem landesweiten Startup-Wettbewerb im Iran im Jahr 2017 war die Jury fast zur Hälfte weiblich. Gewonnen hat am Ende ein reines Frauenteam mit einer Logistik-Plattform. Die weiblichen Mitwirkenden wurden häufig von diversen Medien interviewt, sehr oft von weiblichen Journalistinnen, die sie mit viel Leidenschaft als Vorbilder für die Mädchen und Frauen im Land präsentierten. Und das alles in einem Land, in dem Frauen rechtlich kaum als eigenständige Menschen wahrgenommen werden, immer dem Vater oder Mann zugeordnet werden und nicht ohne Kopftuch aus dem Haus gehen dürfen, wie wir mittlerweile alle wissen. Trotz dieses furchtbaren, repressiven Regimes ist es in der Gesellschaft anders. Bei uns scheint es dagegen andersherum zu sein. Wir dürfen alles – theoretisch, wenn man uns denn lässt. Traurig, peinlich, lächerlich.

Weiterhin ist es faktisch nicht zu bestreiten, dass wir reichlich Frauen hätten, die mehr als bühnentauglich sind. Die im Ausland gefeiert werden, von ihren Kunden ohne Ende weiterempfohlen werden, in zahlreichen Datenbanken zu finden wären. Die in Deutschland aber fast niemand bucht. “Es gibt ja so wenig!” ist im Jahre 2022 definitiv als Fake News einzustufen.

Noch einmal in aller Klarheit, damit ihr es auch wirklich versteht, liebe deutsche Event-Organisatoren: Eine Lüge wird einfach kein bisschen wahrer, wenn man sie immer wieder wiederholt. Man wird nur ein noch größerer Lügner.

Wenn aber nun die schwache Frauenquote auf deutschen Startup-Events nicht auf unglücklichen und nicht zu ändernden Umständen beruht, dann bleiben noch zwei Möglichkeiten: sie entsteht entweder aus Ignoranz oder aus bewusster Entscheidung.

Im ersteren Fall würde nicht nur die Tatsache ignoriert, dass man auf den meisten deutschen Bühnen eben viel mehr Männer als Frauen findet. Man müsste zeitlich auch die – wenigen, aber oft sehr deutlichen – Stimmen ignorieren, die dies ankreiden. Zusätzlich auch die Frauen, die um mehr Öffentlichkeit für sich und ihre Themen kämpfen und nur zu gerne eine Chance für die Reichweite einer großen Bühne ergreifen würden. Auch dürfte man nicht auf entsprechende Events im Ausland fahren, damit man mit der anderen Realität dort nicht noch konfrontiert wird. Bei so viel Ignoranz sollte dann die Frage erlaubt sein, ob man als Event-Organisator nicht völlig ungeeignet ist.

So erscheint doch die zweite Möglichkeit – die bewusste Entscheidung – irgendwie wahrscheinlicher. Das heißt allerdings nicht, dass es sich um komplett böswilligen Sexismus handelt. Es kann auch einfach Gewohnheit sein, alte Glaubenssätze á la “wir gehen nur nach Qualität” – schließlich war es immer so, man hält sich gerne an bekannte Gesichter und viele weitere Effekte mehr.

So einfach kommen wir da also nicht raus, wenn wir uns nicht endlich trauen, immer und immer wieder deutlich auf die Missstände hinzuweisen. Um die Ignoranz noch schwerer zu machen und die Entscheidung nicht ohne vorheriges Nachdenken zuzulassen.

Denn sonst haben wir genau den Effekt, der bei Quoten so oft bemängelt wird: nicht die Qualität ist entscheidend, wer auf der Bühne steht, sondern das Geschlecht. Wollen wir also qualitativ nicht den Anschluss an andere Länder verlieren, wird es Zeit, den Finger in die Wunde zu legen. Übers Gendern können wir dann von mir aus immer noch diskutieren, wenn es unbedingt sein muss.

Photo (above): Ruth Cremer

Ruth Cremer

Ruth Cremer ist Mathematikerin und Beraterin sowie Hochschuldozentin auf dem Gebiet der Geschäftsmodelle, Kennzahlen und Finanzplanung. Als ehemalige Investmentmanagerin weiß sie, worauf Investoren achten und hilft auch bei der Pitch- und Dokumentenerstellung im Investitions- oder Übernahmeprozess. Seit 2017 ist sie als externe Beraterin an der Auswahl und Vorbereitung der Kandidaten in "Die Höhle der Löwen" beteiligt.